Vertrauliche Geburt: Hilfsangebot für Frauen, die ihre Schwangerschaft geheim halten möchten.
Vor einiger Zeit erschütterte der Fall einer Mutter, die ihr neugeborenes Baby in einem Hinterhof ablegte und sich dann entfernte, die Rosenheimer Bürgerinnen und Bürger. Inzwischen ist die Mutter gefunden und festgenommen worden. Die Diskussion, die daraufhin öffentlich entbrannte, drehte sich zum großen Teil um die Einrichtung einer sogenannten Babyklappe in Rosenheim. In diese Vorrichtung können Mütter nach einer nicht registrierten Geburt und in einer schweren Notlage das Kind anonym in ein Wärmebettchen ablegen.
Eine umgehende medizinische Versorgung des Neugeborenen ist durch ein Alarmsystem gewährleistet. Derzeit gibt es in Oberbayern vier Babyklappen, zwei in München, eine in Schongau und eine in Ingolstadt. Rechtlich sind diese Einrichtungen umstritten, nachdem die anonyme Abgabe von Kindern gegen ihr Grundrecht auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung verstößt sowie den Straftatbestand der Verletzung der Unterhaltspflicht grundsätzlich erfüllt. Dennoch werden Babyklappen vom Gesetzgeber geduldet.
Seit neun Jahren gibt es aber für Frauen, die ihre Schwangerschaft geheimhalten wollen, auch eine rechtssichere Alternative, die nicht nur die Gesundheit des Babys, sondern auch die der Mutter im Fokus hat: die Vertrauliche Geburt. In einem Gespräch mit unserer Redaktion stellen Dipl.-Sozialpädagogin Ulrike Schauberger, Beraterin und Fachkraft Vertrauliche Geburt bei Donum Vitae, und Elisabeth Jordan, Vorsitzende des Fördervereins Donum Vitae Rosenheim e.V., das Hilfsangebot vor.
Was ist eine Vertrauliche Geburt und welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten dabei?
Ulrike Schauberger: „Das Gesetz, auf dem die Vertrauliche Geburt beruht, trat am 1. Mai 2014 in Kraft. Es richtet sich an Frauen, die ihre Schwangerschaft geheimhalten wollen aus vielerlei Gründen: aus Angst, Verzweiflung in besonders schwierig empfundenen Lebenssituationen, bei Gefahr für das eigene Wohlergehen und das ihres ungeborenen Kindes. Zentrale Anlaufstelle in einer derart extremen Lage sind die Schwangerschaftsberatungsstellen, wie etwa wir von Donum Vitae in Bayern e.V. Hier finden sie Hilfe und Beratung von Fachfrauen, die in ausführlichen, vertraulichen und selbstverständlich kostenlosen Gesprächen mit den Frauen individuelle Lösungsmöglichkeiten suchen. Wenn sich die Frau für eine Vertrauliche Geburt entscheidet, begleitet eine speziell geschulte Beraterin die Schwangere den ganzen Weg und organisiert und steuert, immer ausgerichtet an den Wünschen und Bedürfnissen der werdenden Mutter, den gesamten Ablauf: von den Vorsorgeuntersuchungen bis hin zur Entbindung und der Nachbetreuung. Die Frau wählt ein Pseudonym und offenbart während des gesamten Prozesses nur einmal ihre Identität gegenüber der Beraterin in der Schwangerenberatungsstelle, die zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet ist. Dieser Herkunftsnachweis wird nach der Geburt des Kindes und wenn sich die Mutter tatsächlich für die Freigabe ihres Kindes zur Adoption entschlossen hat, in einem versiegelten Umschlag an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) geschickt und dort verwahrt. Nach dem 16. Geburtstag erhält das Kind das Recht, die persönlichen Daten seiner Mutter einzusehen.“
Elisabeth Jordan: „Ganz wichtig ist es zu erwähnen, dass schwangere Frauen in solchen Notsituationen immer auch an jeder Klinik, jede Hebamme mit ihrem Wunsch nach einer Vertraulichen Geburt wenden können; unabhängig davon, ob diese vorher angekündigt war oder bereits die Begleitung durch eine Schwangerenberatungsstelle angelaufen ist. Die medizinischen Fachkräfte sind bestens vernetzt mit den Beratungsstellen und informieren diese umgehend. Selbstverständlich und rund um die Uhr. Dieses Netzwerk zur Vertraulichen Geburt in Rosenheim, zu dem neben den Schwangerschaftberatungsstellen, die Adoptionsvermittlungsstellen, Kliniken, Jugendämter, Rettungsdienst sowie Standesämter und Familiengericht gehören, funktioniert seit Jahren sehr gut.”
Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten neun Jahren mit diesem Hilfsangebot gemacht?
Ulrike Schauberger: „In allen Fällen, die ich bisher begleitet habe, gibt es ein übergeordnetes Motiv, das alle Frauen verbunden hat, unabhängig von den individuellen, unterschiedlichen Ängsten und Belastungen: Ich kann die Verantwortung für mein Kind in dieser Lebenssituation nicht übernehmen. Ich möchte, dass es meinem Kind gut geht. Für die Betroffenen ist es ungeheuer wichtig, auf diesem Weg psychosozial aber auch medizinisch begleitet zu werden, sich in einem geschützten Raum umfassend über Hilfsmöglichkeiten auch über die Geburt hinaus informieren zu können. Meine Erfahrung zeigt auch, wie wertvoll es für die Frauen, die sich zur Abgabe und Adoption entschlossen haben, ist, diesen Abschied selbst mitgestalten zu können: sich vom Kind verabschieden zu können, ihm einen Namen zu geben, zu entscheiden, wo und wie es aufwächst oder ihm etwas mitzugeben für den neuen Weg. Nicht zuletzt: Die Vertrauliche Geburt bietet absolute Rechtssicherheit für die Frauen.“
Elisabeth Jordan: „Das sind sicherlich wichtige Aspekte, um die Frauen in ihrer Notsituation vor Traumatisierung zu schützen. Ich hoffe überhaupt, dass in der öffentlichen Diskussion, auch um die Babyklappe, die physische und psychische Gesundheit der schwangeren Frauen in Notsituationen nicht aus dem Blickfeld gerät. Eine Geburt alleine und medizinische Betreuung kann große medizinische Risiken und Komplikationen nicht nur für die Babys, sondern auch für die Mütter haben. Deshalb ist meiner Meinung nach die Vertrauliche Geburt das Hilfsangebot, das es zu fördern, im öffentlichen Bewusstsein zu verankern gilt. Es muss alles getan werden, dass Frauen keine Babyklappe brauchen!”
Wohin können sich schwangere Frauen in Konflikt- und Notsituationen aber auch deren Familie und enge Freunde wenden?
Ulrike Schauberger: „Die Schwangerenberatungsstellen der verschiedenen Träger sind natürlich in allen Fragen rund um die Themen Schwangerschaft und Geburt wichtige, kompetente Ansprechpartner. Für alle diejenigen, die diesen persönlichen Kontakt zunächst scheuen, gibt es aber auch ein bundesweites anonymes, kostenloses Hilfstelefon, das rund um die Uhr besetzt ist und unter der Nummer 08 00/ 40 40 020 erreichbar ist. Die Mitarbeiterinnen des Hilfstelefons beraten in vielen Sprachen sowie in Leichter und Gebärdensprache. Sie ermutigen die Frauen, Hilfe anzunehmen und unterstützen bei der Kontaktaufnahme mit Beratungsstellen vor Ort. Auf hilfetelefon-schwangere.de finden sich auch Informationen zu Chat- und E-Mail-Beratung. Keine Frau sollte in einer derartigen Konfliktsituation alleine bleiben, gemeinsam finden wir einen Weg!“ Franziska Finsterwalder
Bild: Keine Frau soll ihre Konflikte alleine austragen müssen. Foto: Pexels