Deutscher Ärztetag hat den Weg für Telemedizin frei gemacht
Es gibt wohl fast keinen Bereich in unserem Alltag, der nicht von den modernen Medien und Telekommunikation sowie der Digitalisierung beeinflusst wird. Davon ist auch die medizinische Versorgung der Bundesbürger nicht ausgenommen: In mittlerweile fast allen Fachgebieten finden moderne Versorgungsformen der Telemedizin immer breiteren Einsatz: Von der Online-Videosprechstunde bis hin zum Telemonitoring, also der Übermittlung von Vitaldaten chronisch kranker Menschen an ihren Hausarzt.
Vor Kurzem hat dem auch der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt Rechnung getragen. Mit überwältigender Mehrheit hat er eine Neufassung des § 7 Absatz 4 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte beschlossen und damit den berufsrechtlichen Weg für die ausschließliche Fernbehandlung von Patientinnen und Patienten geebnet.
Die Neuregelung entspricht den Forderungen des letztjährigen Deutschen Ärztetages, einerseits die Behandlung und Beratung aus der Ferne unter bestimmten Anforderungen zu ermöglichen und andererseits den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt weiterhin in den Vordergrund zu stellen.
„Wir wollen und müssen diesen Prozess gestalten und dieses Feld mit unserer ärztlichen Kompetenz besetzen“, sagte Dr. Josef Mischo, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und Vorsitzender der Berufsordnungsgremien der Bundesärztekammer, vor den 250 Abgeordneten des Deutschen Ärztetages. Mischo stellte klar, dass digitale Techniken die ärztliche Tätigkeit unterstützen sollen. Sie dürften aber nicht die notwendige persönliche Zuwendung von Ärztinnen und Ärzten ersetzen. „Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt stellt weiterhin den ,Goldstandard‘ ärztlichen Handelns dar“, betonte Mischo.
Eine ausschließliche Fernbehandlung liegt dann vor, wenn eine ärztliche Beratung oder Behandlung stattfindet, ohne dass zumindest ein persönlicher physischer Kontakt zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat. Der geänderte Paragraf 7 Absatz 4 der (Muster-) Berufsordnung lautet: „Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“
In weiteren Entschließungen betonte der Ärztetag unter anderem die Notwendigkeit, Beratungen und Behandlungen aus der Ferne in die bestehenden Versorgungsstrukturen einzubinden. Die Abgeordneten des Ärztetages sprachen sich gegen den Aufbau eines neuen eigenständigen Versorgungsbereichs einer telemedizinischen Primärversorgung aus, insbesondere in Form kommerziell betriebener Callcenter. Ferner forderte der Ärztetag, dass die Fernbehandlung im vertragsärztlichen Sektor nur durch Vertragsärzte im Rahmen des Sicherstellungsauftrags erfolgt. „Kapitalorientierte Gesellschaften dürfen im vertragsärztlichen Sektor nicht in Konkurrenz zu Vertragsärzten treten oder gar Betreibereigenschaften für medizinische Versorgungszentren erhalten“, heißt es in einer Entschließung des Ärzteparlaments. Im Klartext heißt das: Telemedizin kann die Versorgungsqualität verbessern und ärztliches Handeln unterstützen, aber keinesfalls ersetzen. Dem stimmt auch Dr. Fritz Ihler, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Rosenheim zu. Er berichtet davon, dass Telemedizin auch in unserer Region bereits in einzelnen Bereichen eingesetzt wird: „Im Notarztdienst wird das Notfall-EKG vor Ort an die aufnehmende Intensivstation übertragen. In der Kardiologie können Patienten mit gefährlichen Rhythmusstörungen telemedizinisch überwacht werden. Mithilfe der Telemedzin kann darüber hinaus schnell die Zweitmeinung eines ärztlichen Spezialisten eingeholt werden. Dies bedeutet schon heute eine Qualitätsverbesserung.“
Auf gute Erfahrungen mit ihrem 15-monatigen Pilotprojekt „Online-Video-Sprechstunde“ gemeinsam mit HNOÄrzten und Dermatologen verweist auch die Techniker Krankenkasse. TK-Versicherte konnten sich dabei ihren Arzt bequem per Videochat ins Wohnzimmer holen und ihre medizinischen Anliegen besprechen. Die Auswertung des Projektes zeige: Zwei von drei Patienten (69 Prozent), die die Online-Video-Sprechstunde der Krankenkasse getestet haben, bewerten den Video-Chat als gute und praktische Ergänzung zum Arztbesuch in der Praxis. „Jeder Arztkontakt ist wichtig, aber das Modellprojekt hat deutlich gemacht, dass der Patient dazu nicht jedes Mal in die Praxis kommen muss“, sagte Dr. Lothar Bleckmann vom HNOnet NRW. Die teilnehmenden Ärzte meldeten, dass 90 Prozent der Fälle in der telemedizinischen Behandlung geklärt werden konnten. Mehr als ein Drittel der Patienten nutzte den Chat wegen einer akuten Erkrankung, ein Viertel wegen chronischer Leiden und 13 Prozent entfielen auf Verlaufskontrollen im Rahmen einer Behandlung.