Der Trend „Urbaner Gartenbau“ ist auch in Rosenheim angekommen
Garten- und Küchenkräuter, Sellerie oder Tomatenpflanzen in Kisten, Säcken, Kübel oder Balkonkästen, Radieschen und Salat angepflanzt auf Flachdächern öffentlicher oder privater Gebäude in Rosenheim? Was in vielen anderen Ländern und Orten in Deutschland bereits zur städtischen Alltagskultur gehört, steckt in Rosenheim noch in den Kinderschuhen: „Urban Gardening“, was so viel wie „Urbaner/Städischer Gartenbau“ oder „Mobil Gärtnern“ bedeutet.
Doch nun hat sich ein junges Rosenheimer Unternehmen, „Stadtpflanzen GmbH“, vorgenommen, das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger für diese umweltfreundliche und gesunde Alternative der Versorgung mit Nahrungsmittel zu schärfen.
„Wir möchten das Essen da entstehen lassen, wo die Menschen leben – in der Stadt. Eine urbane Chance, saisonale und regionale Vielfalt anzubieten!“, so fasst es Mitbegründerin Anja Frohwitter zusammen. „Stadtpflanzen“ bietet allen Interessierten die unterschiedlichsten Workshops, in denen allen Altersgruppen das grundlegende Wissen rund um Ansaat und Pflege von Gemüse, Kräutern und essbaren Blumen vermittelt wird. Diese richten sich nicht nur an Privatpersonen, die Balkon, Terrasse, Innenhof oder Fensterbank für das mobile Gärtnern nutzen wollen, sondern auch an Firmen oder öffentliche Einrichtungen. Neben dem umfassenden Know-how gibt es bei „Stadtpflanzen“ sämtliches Zubehör, Saatgut und und Pflänzchen aus biologischer Erzeugung ebenso wie Kräuterpaletten, Topfhalter, Pflanzgefäße und vieles mehr.
Die Vorteile dieser regionalen Versorgung liegen für Anja Frohwitter auf der Hand: „Es geht darum, das Wissen um die saisonale Erzeugung unserer Lebensmittel wieder zurück in die Stadt zu bringen und uns alle, besonders Kinder und Jugendliche, wieder sensibel für die natürlichen Zusammenhänge zu machen.“ Zudem sorge Urbaner Gartenbau für die Verbesserung und Abkühlung des Stadtklimas und als Ausgleich zur stetig anwachsenden Versiegelung unserer Orte.
Städtischer Gartenbau ist übrigens keine neue Bewegung: Er wurde betrieben, seitdem es Städte gibt, und half deren Bewohner über Jahrhunderte hinweg auch und gerade in Krisen- oder Kriegszeiten über Versorgungsengpässe hinweg. Doch auch heutzutage gibt es weltweit viele Beispiele für „Urban Farming/Gardening“.
So versorgen sich in Moskau 65 Prozent der Bevölkerung teilweise mit selbstangebauten Nahrungsmitteln. Im amerikanischen Kalifornien gibt es zwei Projekte, in denen Bürger eine Stadtbrache für den Anbau von Lebensmittel und als sozialer Treffpunkt genutzt wurde. In Deutschland ist einer der Vorreiter im urbanen Gartenbau die Stadt Bremen, die ein Hochbeetprojekt in der Innenstadt initiiert hat.
In Rosenheim bemüht sich das junge Unternehmen „Stadtpflanzen“, das sich übrigens auch für den diesjährigen Gründerpreis der Stadt beworben hat, diese Idee von der grünen Stadt umzusetzen. Und erste Erfolge können die gut vernetzten Mitarbeiter von „Stadtpflanzen“ schon vermelden: So hat das Unternehmen die Rosenheimer Stadtbibliothek letztes Jahr bei der Umsetzung eines Projektes mit Pflanztrögen direkt vor dem Gebäude unterstützt. Zudem ist man in Verhandlungen mit der „Sozialen Stadt“ und der städtischen Wohnbaugesellschaft GRWS. Gemeinsam will man hier ein Gartenbauprojekt in der Endorfer Au umsetzen.
Die Stadt Rosenheim, so der stellvertretende Pressesprecher Christian Schwalm, stehe dem Thema „Urban Farming“ oder auch „Urban Gardening“ grundsätzlich offen gegenüber: „Mit der Zielsetzung integrierter Gartenflächen entstehen grüne Oasen in der Stadt, die das Stadtbild bereichern, oft unterschiedliche Menschen zusammenbringen und in der Regel Gartenflächen entstehen lassen, in denen gesunde Lebensmittel für den Verbrauch und Genuss vor Ort produziert werden. In vielen Städten entstehen solche Projekte als Nachbarschaftsgärten, Stadtteilgärten oder auch als sogenannte interkulturelle Gärten – Ansätze hierzu oder einzelne Projekte gab es auch schon in Rosenheim. In der Form der Kleingartenanlagen blickt das Gärtnern in der Stadt ja auch schon auf eine lange Tradition zurück.“
Skeptisch sei man allerdings bei einem der Vorschläge von „Stadtpflanzen“, Dächer, insbesondere das des geplanten Radlparkhauses am Busbahnhof, als Anbaufläche zu nutzen. „Betrachtet man die aktuell kommunizierten Projekte, etwa in München, wird deutlich, dass diese ausschließlich ebenerdig entwickelt werden, nicht auf Gebäudedächern. Der Aufwand, die Dächer zur Bewirtschaftung auszubauen, ist ausgesprochen hoch. Das gilt für die statischen Anforderungen, für die Zugänglichkeit und die Absturzsicherung an den Dachrändern ebenso wie für die technische Sicherung einer ausreichenden Bewässerung. Mit Blick auf Hitze und Kälte ist einfach zu beachten, dass eine Dachfläche sich hier völlig anders verhält als der sogenannte gewachsene Boden mit seinen Speicherkapazitäten von Feuchtigkeit oder auch Wärme. Das Dach des geplanten Fahrradparkhauses am Bahnhof wird zwar extensiv begrünt, aber nicht als Gartenfläche ausgebaut. Projekte des Urban Farming lassen sich wohl am besten verwirklichen im Wohnumfeld, etwa in Form von Nachbarschaftsgärten. Oder in bestehenden und künftigen Kleingartenflächen kann der Gedanke an gemeinschaftlich gärtnerisch genutzten Flächen durchaus Platz finden in Ergänzung zu den traditionellen Einzelparzellen“ so Christian Schwalm.
Sehr schade findet diese skeptische Haltung Anja Frohwitter von Stadtpflanzen. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die erfolgversprechenden Forschungsprojekte der bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau (LWG). Florian Demling von dortigen Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau – Arbeitsbereich Urbanes Grün bestätigt dies. Man habe in den letzten fünf Jahren intensiv geforscht und feststellen können, dass unter bestimmten Bedingungen, die an die Statik des Daches und die Art der Bewässerung geknüpft sind, Gemüseanbau auf einem Flachdach durchaus möglich sei. Der Zwischenbericht des
Forschungsvorhabens „Urban Gardening mit Dach- und Fassadenbegrünung“ erwähnt einige Versuchsobjekte: „An den beiden Versuchsdächern mit vormals extensiver Dachbegrünung in Veitshöchheim und Würzburg wurden die Versuche fortgeführt. Speziell entwickelte Mischpflanzungen und Ansaaten aus regionalemGemüse und Asia-Gemüse wurden an beiden Standorten eingesetzt. Im Zuge der Landesgartenschau in Würzburg wurde im gemeinsamen Vorhaben „Klima-Forschungsstation“ der LWG und dem Zentrum für angewandte Energieforschung Bayern ein weiteres Gemüsedach als Demonstrations- und Versuchsfläche gewonnen. Dort wächst die gleiche regionale Gemüse-Mischung mit zum Beispiel Schnittlauch, Salat und Radieschen.“
Ausführliche Informationen über „Stadtpflanzen“ gibt es im Internet unter www.stadtpflanzen.de. Wer sich persönlich mit den Initiatoren über die vielfältigen Möglichkeiten des städtischen Gartenbaus austauschen will, dem sei der Besuch des Geschäftes „nimm`s lose“ in Rosenheim empfohlen. Hier sowie in vielen Gärtnereien und Bamärkten gibt es auch eine große Auswahl an Zubehör, wie Samen oder die unterschiedlichsten Pflanzsysteme. Franziska Finsterwalder