Workshops und Vorträge des Gesundheitsamtes Rosenheim zur Medienprävention an Schulen
Unruhige und abgelenkte Kinder im Unterricht, schlechte Schulnoten – kommt das vermehrt vom übermäßigen Zocken, Chatten und Surfen an digitalen Medien? Martin Seidl, Präventionsfachkraft im Staatlichen Gesundheitsamt des Landratsamtes Rosenheim, hat im zu Ende gegangenen Schuljahr 84 Vorträge und Workshops für Schulklassen, Eltern und Lehrkräfte im Landkreis Rosenheim abgehalten. Er sagt: „Das Internet bietet nicht nur Annehmlichkeiten und Vorteile, es kann auch zu unangenehmen ,Nebenwirkungen‘ kommen.“
Zusammen mit dem Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes, Dr. Wolfgang Hierl, zog Seidl Bilanz. Er weiß, viele erfahrene Lehrerinnen und Lehrer bestätigen die These von den abgelenkten Kindern. Und „ja, die Kinder sind allgemein unruhiger geworden“, sagt beispielsweise Konrektor Stephan Müller von der Realschule in Bruckmühl. Inzwischen merken es sogar die Kinder und Jugendlichen selbst. In einer Studie aus Nordrhein-Westfalen gibt ein Großteil der acht- bis 14-jährigen Schüler zu, dass WhatsApp sie ablenkt, stresst und schlechtere Noten daraus resultieren.
Damit nicht genug: „Wenn man einem Fünftklässler ohne Zeitsperre Online-Apps wie Snapchat, WhatsApp, Musical.ly oder Instagram zur Verfügung stellt, kann man davon ausgehen, dass die Kinder häufig damit überfordert sind. Sie können schwer abschalten oder aufhören. Denn der Reiz, mal kurz sein Handy oder Tablet nach Neuigkeiten zu „checken“, ist permanent vorhanden, da sie ja nicht wissen, wann eine neue Nachricht kommt.“
Martin Seidl weiß durch seine Workshops, dass heutzutage so gut wie alle Fünftklässler eine Online App nutzen: „Wenn man in einem Netzwerk ist und seine Inhalte wie Texte, Bilder oder Filme hochlädt, ist sofort die Erwartungshaltung nach Anerkennung vorhanden und man schaut immer wieder nach“, so Seidl.
Martin Seidl, der nun bereits seit fünf Schuljahren in den Schulen zum Thema Medienprävention aktiv ist, hat zudem beobachtet, dass der Einstieg in die Welt der digitalen Medien immer früher beginnt: „Das soziale Netzwerk Instagram beispielsweise war vor einem Jahr ein Privileg der Schüler ab der achten Klasse. In diesem Schuljahr schätze ich, hatten etwa 25 bis 30 Prozent der Viertklässler schon Kontakt mit dieser App.“
Gefahr: Kontakt mit Fremden
In den vierten Klassen spielt zudem fast jedes Kind ein virtuelles Spiel auf einer Konsole, auf dem Handy, PC oder Tablet. Gerade die Onlinespiele bergen viele Gefahren wie Kontakt mit Fremden, InApp Käufe, Gruppendruck, täglich viele Nachrichten mit Aufforderungscharakter, weiter zu spielen oder permanentes Tracking durch die Spieleentwickler. Daher rät Seidl: „Wenn schon Computer-Spiele im Grundschulalter, dann bitte keine Online- sondern Offlinespiele.“
In einer Zeit, als es noch keine Smartphones oder Tablets gab, waren Kinder eher „gezwungen“ sich mit der Langeweile auseinanderzusetzen. Heutzutage greifen die meisten Jugendlichen bei jeder Gelegenheit, in der Langeweile aufkommen könnte, sofort zum Smartphone. Laut Alexander Markowetz von der Uni Bonn leiden darunter die Produktivität und Kreativität der Menschen, ja sogar das Glücksempfinden. Denn wer übermäßig von App zu App oder von Nachricht zu Nachricht „surft“, statt in eine Sache einzutauchen beziehungsweise bei einer Sache konzentriert zu bleiben wie einen Kinofilm ansehen oder ein Buch lesen, der trainiert sich laut Edward Hallowell, Psychiater und Dozent an der Harvard Medical School, eine Oberflächlichkeit an, die in innere Unruhe und eine Art chronische Aufmerksamkeitsstörung münden kann.
Damit nicht genug, der Präventionsfachmann sieht noch mehr „Nebenwirkungen“: „Eltern sollten sich auch im Klaren darüber sein, dass der Einfluss des Internets gegenüber dem Einfluss der Eltern zunimmt, je häufiger die Kinder im Internet sind.“ Kanäle wie Youtube, Musical.ly und Ins-tagram bieten den Kindern enorm viele „Vorbilder“, die fragwürdige Werte vermitteln und die Eltern kennen sie oft nicht. Daher rät Martin Seidl, dass Eltern immer wieder gemeinsam mit ihren Kindern die Inhalte aufsuchen und diese reflektieren, ebenso wie TV-Sendungen. Das sieht Dr. Wolfgang Hierl, der Leiter des Gesundheitsamtes genauso: „Auch frühere Generationen haben heimlich unter der Bettdecke gelesen, aber das mediale Angebot war nur ein Bruchteil vom heutigen und weitaus weniger raffiniert wie Onlinemedien.“
Den Kindern der vierten bis sechsten Klassen machten die Mitmach-Workshops mit Martin Seidl sehr viel Spaß und sie lernten „weniger zu zocken, keinen Kontakt zu Fremden zu pflegen, Onlinefreunde von echten Freunden zu unterscheiden, bei Unsicherheiten die Eltern fragen, erst denken und dann klicken, Respekt auch im Internet zu bewahren und Inhalte im Internet mit Vorsicht zu betrachten, da sie kaum kontrolliert werden.“ Zudem machte Seidl deutlich, dass zu viel Bildschirmnutzung auch körperliche Auswirkungen haben kann wie Kurzsichtigkeit, Verdauungsprobleme, Haltungsschäden und schlechtere Leistungsfähigkeit.
Bleibt noch die Gefahr der Sucht. Für Dr. Hierl ist sie real: „Ein übermäßiges Angebot an digitalen Medien kann zu einer einseitigen Freizeitgestaltung führen. Kinder vernachlässigen Dinge wie beispielsweise Sport, Musik, Lesen und Lernen. Oft können sie die Nutzungsdauer nicht mehr kontrollieren.“ Laut der Drogenafinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahre 2017 ist die Anzahl der Jugendlichen mit riskantem Internetverhalten in den letzten Jahren enorm gestiegen.
Positive Alternativen
Den Eltern bot Präventionsfachmann Seidl in seinen Vorträgen auch Lösungsansätze an: „Positive Alternativen anbieten, so lange es die Kinder zulassen viel Zeit mit ihnen verbringen, als Vorbild auf den eigenen Konsum achten, Kindersicherungssoftwares einsetzen, klare Zeiten mit den Kindern vereinbaren, schrittweise Verantwortungen übertragen und immer wieder das Gespräch suchen ohne sofort den Zeigefinger zu erheben.“ Nach dem Motto „Be smart – PhoneSmart!“
Für weitere Informationen gibt es auf der Website www.phonesmart-share.de. Martin Seidl ist zudem telefonisch zu erreichen unter 0 80 31/3 92 60 02.