Gespräch mit Christiane Mies von der Fachambulanz für Suchterkrankungen der Diakonie
Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat festgestellt, dass rund 430 000 Menschen in Deutschland an Glücksspielsucht oder einem problematischen Glücksspielverhalten leiden. Die Dunkelziffer dürfte nach Ansicht von Experten deutlich höher liegen. Rat und Hilfe bekommen Betroffene und deren Angehörige in Rosenheim in der Fachambulanz für Suchterkrankungen der Diakonie.
Unsere Redaktion sprach mit Suchtberaterin Christiane Mies, die diesen Fachbereich in der Fachambulanz betreut, über ihre Arbeit, die Angebote der Einrichtung und auch über den neuen Glücksspielstaatsvertrag, der am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist.
Frau Mies, wie beurteilen Sie als erfahrene Beraterin den neuen Glückspielsstaatsvertrag, mit dem die 16 Bundesländer illegale Angebote zurückdrängen und einheitliche Schutzvorschriften für Spieler festsetzen wollen?
„Eigentlich ist die Intention des Staatsvertrages ein Schritt in die richtige Richtung. Leider waren die Regelungen zu Onlinecasinos mehr als verwirrend.
Bisher waren diese Angebote deutschlandweit illegal, mit Ausnahme von Schleswig-Holstein, das bereits 2012 ein Glücksspielgesetz eingeführt hat.
Zudem gab es auch EU-Lizenzen, etwa aus Malta, mit denen ebenfalls der Zugang zu diesen Online-Casinos möglich war.
Grundsätzlich positiv zu bewerten ist auch die Einführung einer bundesweiten Sperrdatei und eines anbieterübergreifenden Einsatzlimits.
Aber leider müssen wir von den Beratungsstellen bei genauer Betrachtung der Vereinbarung konstatieren, dass diese so keinen Gewinn für die Menschen mit einer Glücksspielproblematik ist.“
Und woran liegt das konkret?
„Zum einen ist unserer Ansicht nach das vorgeschriebene monatliche Einsatzlimit von 1000 Euro viel zu hoch angesetzt. Zumal diese Begrenzung nur für Kasinos, Spielhallen, Online-Casinos und Spielautomaten gilt; bei dieser Begrenzung ausdrücklich ausgenommen sind sämtliche Lotterien.
Zum anderen macht uns die Kontrolle der Schutzvorschriften Sorge. Geplant ist die Einrichtung einer gemeinsamen Bundesbehörde für Glücksspiel in Halle, der die Überwachung und Einhaltung dieser Regelungen obliegt. Doch diese Behörde hat bis Januar 2023 Zeit, die im Staatsvertrag beschriebenen Schutzmaßnahmen umzusetzen, also bis eineinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten des Staatsvertrages!
Außerdem: Durchaus positiv zu bewerten ist es, dass die Eigenwerbung für Glücksspielangebote eingeschränkt worden ist. Doch für uns unverständlich ist es, warum das nur in der Zeit von 6 bis 21 Uhr gilt. Unserer Meinung nach, wäre ein komplettes Verbot angebracht gewesen.“
Glücksspielsucht ist eine Krankheit, anerkannt von Rentenversicherungsträgern und Krankenkassen. Doch das Bewusstsein darum ist in unserer Gesellschaft noch nicht ausgeprägt. Wann spricht man in diesem Zusammenhang von einem Suchtverhalten, wann ist es noch „ungefährlicher“ Zeitvertreib?
„Grundsätzlich gilt bei der Glücksspielsucht wie bei jeder anderen Suchtkrankheit: Die Grenze ist mit dem Kontrollverlust über das eigene Verhalten erreicht. Ich muss spielen, auch wenn ich es eigentlich nicht will, auch wenn Scham und Schuldgefühle mich belasten, auch wenn meine wirtschaftliche Existenz und die meiner Familie bedroht sind. Das Spielen hat schleichend eine bestimmte Funktion im Leben des Betroffenen übernommen: Glücksspiel als Ausgleich, um bestimmte Gefühle zu verdrängen. Zudem sind andere Bewältigungsstrategien, wie sie ja ein jeder von uns braucht, wie Hobbys oder Kontakte allmählich eingeschlafen.“
Das Leiden der Suchtkranken wirkt sich auch auf ihr Umfeld aus?
„Selbstverständlich bleibt das nicht aus. Irgendwann, wenn sich die Krankheit nicht mehr verheimlichen lässt, finanzielle Probleme auftauschen, stehen Partner und Kinder, Eltern und Freunde, plötzlich gemeinsam mit dem Betroffenen vor einem riesigen Berg an Problemen: Himmelhohe Schulden, teilweise im fünfstelligen Eurobereich oder höher, drohende Privatinsolvenz, drohender Verlust von Wohnung oder Haus, all das ist in unserer Beratungstätigkeit keine Seltenheit. Dazu kommen die Sorge um den Betroffenen – Glücksspielsüchtige haben eine hohe Suizidgefahr- sowie die große Verunsicherung, wie man damit umgehen soll.“
Wo finden die Betroffenen und ihre Familien Hilfe?
Natürlich kann man sich an unsere Suchtberatungsstelle unter der Telefonnummer 0 80 31/35 62 80 oder E-Mail an fachambulanz@sd-obb.de wenden. Zudem gibt es seit diesem Jahr die Online-Beratungsplattform „PlayChange“ der Landesstelle für Glücksspielsucht unter playchange.de. Auf der Homepage der Landesstelle lsgbayern.de findet man übrigens auch viele weitere nützliche Informationen und Links sowie ein hilfreiches neues Online-Tutorial für Angehörige.
Übrigens: Ich bin der festen Überzeugung, dass der Suchtprävention ein sehr viel höherer Stellenwert eingeräumt werden müsste: Aufklärungsarbeit an den Schulen ist dringend notwendig. Unsere Kinder und Jugendlichen bewegen sich ständig in der digitalen Welt, wo es nur so von glücksspielähnlichen Spielen, Werbung und Reizüberflutung wimmelt. Man kann sie nicht früh genug für diese Gefahren sensibilisieren!“ ff